Die Verwertbarkeit des Videobeweises bei Verkehrsverstößen oder Raserei jetzt leicht gemacht ?

Stefan Heiermann | Rechtsanwalt | Fachanwalt für Strafrecht

Am 11.08.2009 hat das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss eine auf den ersten Blick beiläufige Entscheidung getroffen. Bei näherer Betrachtung ergibt sich aber, dass es sich dabei um eine Grundsatzentscheidung handelt, die durchaus Aufsehen erregend ist. Juristisch gesehen geht es um Begriffe wie „das Recht auf informationelle Selbstbestimmung“, „Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht“, „Verstöße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz“ und „dessen Bedeutung als Willkürverbot“. Dahinter verbirgt sich die einfache Frage, ob Videoaufzeichnungen, die zum Beispiel im Rahmen von Geschwindigkeitsüberwachungen gefertigt werden, als Beweismittel zulässig sind oder ob deren Verwertbarkeit an einem Beweisverwertungsverbot scheitert.
Die Verfassungsbeschwerde über die das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden hatte richtete sich gegen ein Urteil des Amtsgerichts Güstrow und einen dies bestätigenden Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock, in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren. Gegenstand des Verfahrens war der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid, der eine Geschwindigkeitsübertretung des Betroffenen mit einem Bußgeld von 50,00 Euro ahndete. Von dem Vorfall war eine Videoaufzeichnung mit einem geeichten Verkehrskontrollsystem gemessen worden, einfach gesprochen: Der Fahrer wurde bei seinem Verstoß von der Polizei gefilmt. Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11.08.2009 konnte man Vorgänge dieser Art als wohl alltäglich und tausendfach im ganzen Land stattfindend bezeichnen. Die obersten Richter sahen nun jedoch in der Verwertung der Videoaufzeichnung einen Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen und erklären damit das Beweismittel der Videoaufzeichnung als grundsätzlich unverwertbar. Mögliche Konsequenz: Videogefilmte Zuschnellfahrer können nicht belangt werden. Während das zunächst befasste Amtsgericht die Auffassung vertrat, die Videoaufzeichnung sei verwertbar, da sie durch einen entsprechenden Ministerialerlass gestützt wäre, wies die oberste Richterschaft diese Entscheidung als willkürlich zurück. Sie sieht darin einen Verstoß gegen Art. 3 Absatz 1 des Grundgesetzes, nämlich einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Bedeutung als Willkürverbot – willkürliche Richtersprüche sind schließlich unzulässig -. Dies begründeten sie damit, dass die Entscheidung des Amtsgerichts unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar sei und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die amtsgerichtliche Entscheidung auf sachfremden Erwägungen beruht.
Wie kommt das Bundesverfassungsgericht zu einer solchen Auffassung? Für jeden Eingriff in ein Grundrecht – und einen solchen stellen Videoaufzeichnungen in Bezug auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar – bedarf es einer rechtlichen Grundlage. Fehlt eine solche Grundlage, begründet ein Gericht aber dennoch die eigene Entscheidung mit deren Vorliegen, so ist das willkürlich, unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar, damit sachfremd und ein unzulässiger Grundrechtseingriff zu Ungunsten des Betroffenen. Das Amtsgericht Güstrow sah einen entsprechenden Ministerialerlass als eine rechtliche Grundlage an, aufgrund derer der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte dessen, der mit der Videoaufzeichnung überführt werden sollte, gerechtfertigt sei. Da dieser Ministerialerlass jedoch nach Ansicht der Bundesrichter kein Gesetz ist, sehen sie die Auffassung der Vorinstanzen als verfehlt und unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar an.
Es drängt sich nun die – bei manchem wohl sogar freudige – Erwartung auf, dass sämtliche derzeit laufenden Verfahren eingestellt werden müssten und entsprechend Betroffenen keine Sanktionen mehr drohen würden, da sie anhand etwaig gefertigter Videoaufzeichnungen jedenfalls nicht mehr belangt werden könnten. Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass das Bundesverfassungsgericht es dem Amtsgericht überlässt, erneut in der Sache zu entscheiden und dabei zu prüfen, ob es zutrifft, dass die Anfertigung der Videoaufzeichnung nach keiner gesetzlichen Befugnis gestattet war und ob, wenn dies der Fall war, daraus ein Beweisverwertungsverbot folgt.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist also kein Freifahrtschein für Geschwindigkeitssünder, sondern vielmehr eine Aufforderung an die Rechtsprechung, herauszufinden, auf welche rechtliche Grundlage die Verwertbarkeit von Videoaufzeichnungen im Zusammenhang mit Straßenverkehrsdelikten gestützt werden kann. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Gerichte zunächst auch weiterhin an der bisherigen Rechtsprechungspraxis festhalten und Videoaufzeichnungen in Verkehrsangelegenheiten als verwertbar ansehen werden.
Da nicht zu erwarten ist, dass man in der Praxis künftig darauf verzichten wird, Videoüberwachungen einzusetzen, wird wohl der Gesetzgeber das Straßenverkehrsgesetz ergänzen müssen, um eine Videoüberwachung in bestimmten Fällen ausdrücklich zuzulassen. Damit wird dann eine gesetzliche Grundlage dafür geschaffen, dass der Staat zur Gefahrenabwehr bereits gegen den vermeindlichen Täter vorgehen kann, wenn dieser eigentlich erst im Verdacht der Tatbegehung steht, nämlich bereits in dem Moment, in dem die Videoaufzeichnung beginnt. So werden nach Auffassung von RA Heiermann künftig die Videoaufzeichnungen von unbescholtenen Verkehrsteilnehmern auf gesetzlicher Grundlage damit gerechtfertigt, dass doch schließlich in jedem Bürger ein potenzieller Raser stecke…sehr bedenklich.

– Ende –

Von RA Heiermann aus Wetter (Grundschöttel), 24.11.2009

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